Die Ermittlung und Berücksichtigung prognostischer Faktoren bei einer akuten Schmerzepisode können dazu beitragen, anhaltende Schmerzen zu vermeiden. Jüngste Studien haben mehrere prognostische Faktoren aufgezeigt, die den Verlauf persistierender Schmerzen beeinflussen. Neben diesen bekannten prognostischen Faktoren ist es fraglich, ob Stress auch einen wichtigen Faktor darstellt. Es besteht ein komplexes Wechselspiel zwischen Schmerz- und Stresserleben, die unterschiedliche, aber miteinander verbundene Prozesse mit verschiedenen konzeptionellen und physiologischen Überschneidungen darstellen. Beide sind adaptiv, um den Organismus vor körperlichen Schäden zu schützen. Stress umfasst physische und psychische Reaktionen zur Wiederherstellung der Homöostase und Stabilität in einem Organismus, die durch ein belastendes emotionales oder physiologisches Ereignis ausgelöst werden. Schmerz hingegen kann als eine Form von Stress betrachtet werden, die den Organismus zusätzlich belastet. Chronische Schmerzen wiederum können als eine Stressüberlastung betrachtet werden, die zu einer allostatischen Überlastung von Körper und Gehirn führt. Diese entsteht durch die anhaltende Dysregulierung, z. B. durch Überaktivität oder Inaktivität, von physiologischen Systemen, die normalerweise an der Anpassung an Umweltanforderungen beteiligt sind. Eine weitere wesentliche Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung anhaltender Schmerzen wird den Aktivitätsmustern zugeschrieben. Sie werden als Verhaltensweisen definiert, die die Art und Weise bestimmen, wie Menschen mit ihren Schmerzen umgehen. Zu diesen Aktivitätsmustern gehören drei verschiedene Verhaltensweisen: Vermeiden, Überaktivität und Pacing. Vermeidung ist durch einen Teufelskreis aus kognitiven und verhaltensbezogenen Prozessen gekennzeichnet, z. B. Schmerzkatastrophisierung und reduzierte Aktivität. Im Gegensatz dazu ist Überaktivität dadurch definiert, dass die Aufgabe trotz der Schmerzen bis zu dem Punkt fortgesetzt wird, an dem sich die Schmerzen verschlimmern. Während Überaktivität kurzfristig Erleichterung verschaffen kann, sind die langfristigen Folgen verstärkte Schmerzen aufgrund von Überbeanspruchung der Strukturen und Weichteil-Mikrotraumata. Pacing, das dritte Verhalten, umfasst Bewältigungsstrategien, die darauf abzielen, ein ideales Gleichgewicht zwischen Aktivität und Regeneration zu erreichen. Seit zwei Jahrzehnten wird davon ausgegangen, dass Angstvermeidungsüberzeugungen der wichtigste kognitive Faktor bei Schmerzpatienten sind. Bei Probanden mit Kreuzschmerzen zeigten jedoch nur 10 % der Probanden Vermeidungsverhalten, 40 % wurden als überaktiv und die Hälfte der Probanden als Pacer eingestuft. Das Erkennen der individuellen Neigung zu einem Aktivitätsmuster der Patienten in der täglichen Praxis und die Erkennung des Stressniveaus kann entscheidend sein für die Therapieplanung und deren Erfolg.